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New Work - Die Arbeit mit Emotionen füllen

Wie macht man sich in seinem eigenen Unternehmen eigentlich überflüssig? Und warum will man das überhaupt? In diesem Blogpost erzählt unsere Co-Gründerin Franzi von unserem Weg zu mehr Eigenverantwortung für das Team und unseren Herausforderungen damit, dass Verantwortung für Mitarbeitende nicht immer ein Geschenk ist.

Junge Tüftler Gründerinnen Julia und Franzi
Mit dem Erfolg ihres gemeinnützigen Unternehmens stellen sich Gründerinnen Julia und Franzi neue Fragen - wie wächst man wirksam?

Wirksam wachsen, aber wie?

Junge Tüftler ist eine gemeinnützige GmbH, die sich für gute, nachhaltige Bildung in einer digitalen Welt einsetzt. Wir sind in einem Feld tätig, von dem wir überzeugt sind, Arbeit mit Sinn zu schaffen. Voll Gen-Y also. Dennoch stoßen wir an die gleichen Herausforderungen, an die auch alle anderen stoßen, die gründen und wachsen wollen. Nämlich an eine wirkungsvolle Skalierbarkeit des Konzeptes, des Wertesystems und der finanziellen Machbarkeit. Wenn wir unsere Arbeit weiterhin so machen wollen, wie Julia und ich (die beiden Gründerinnen) es zu Beginn getan haben, aber deutlich mehr Wirkkraft entfalten wollen, müssen wir Mitarbeitende dazu befähigen so zu arbeiten, wie wir es zu zweit getan haben. Dennoch wird auf einmal so viel Strukturelles wichtig: Wissensaustausch im Team, Datenablage, Kommunikation, Projektmanagementtools, Personalplanung, Softwarelösungen etc. Das frisst Zeit, Kapazitäten und jede Menge an kreativer “Einfachmachen-Mentalität” - am Ende des Tages bedeutet es weniger Agilität und Dynamik, mehr Struktur und Bürokratie, um mehr Menschen teilhaben zu lassen.

Wie wächst man also und bildet Strukturen für die Skalierung, ohne die Dynamik und das Herzblut zu verlieren? Die wichtigste Prämisse für Wachstum ist für uns Gründerinnen dabei, dass wir entlang unserer Wertevorstellungen wachsen wollen. Also ein Unternehmen aufbauen, dass nicht einfach Vorgesetzte installiert, sondern wertschätzend für jede Kollegin für jeden Kollegen die gleichen Möglichkeiten, Freiräume und Gestaltungsräume schafft. Dies hat uns zu dem Thema Holacracy gebracht, wie bereits viele Unternehmen vor uns. Holacracy ist eine Organisationsform, bei der traditionelle Management-Hierarchien durch ein selbstverantwortliches Rollen-Modell ersetzt werden. Wir nutzen eine abgewandelte Form, nämlich das sogenannte SoulOS, das auch Elemente der zwischenmenschlichen Konfliktlösung (Gewaltfreie Kommunikation) aufgreift.

Warum Holacracy?

Wir möchten ein Unternehmen aufbauen, in dem jede Person größtmögliche Entscheidungsfreiheit hat, um möglichst unternehmerisch zu denken und das Unternehmen sinnvoll wachsen zu lassen. Dazu gehören transparente Löhne, selbständige Akquise von Projekten, auf die man Lust hat, und auch Transparenz in der Buchhaltung mit dem großen Ziel mehr Eigenverantwortung in der täglichen Arbeit zu etablieren. Jede Person weiß also immer alles, um auch tatsächlich mitwirken zu können am gemeinsamen Projekt: Wir schaffen uns selbst den Arbeitsplatz mit gesellschaftlichem Sinn und wir arbeiten gemeinsam daran, diesen auch nachhaltig aufrecht zu erhalten.

Die These, die selbstverantwortlichem Arbeiten zugrunde liegt, ist, dass wenn jede Person die komplette Transparenz hat, auch allen die Tragweite von Entscheidungen und Möglichkeiten bewusst sind. Die Teammitglieder wissen, wie der Kontostand aussieht und welches Projekt wie viel einbringt, wer welche Skills und welchen Wert im Monat in die Firma bringt. Somit sollen die Verantwortung und die Mitgestaltungsmacht, also das entrepreneurial Mindset, auf alle Teammitglieder überspringen. Jede Person weiß um die eigene Relevanz in der Firma. Selbstorganisation in Perfektion. Das kann unglaublich ermächtigend sein, aber auf der anderen Seite fordert es ebenso ein Höchstmaß an Reflexion und Engagement aller Mitarbeitenden. Das Holacracy-System geht davon aus, dass jedes Teammitglied daran arbeitet, die Firma bestmöglich zu entwickeln.

Junge Tüftler Team Mitglieder
SoulOS bedeutet für das Junge Tüftler Team mehr Freiheiten aber auch mehr Verantwortung.

Verantwortung muss man wollen

Angestellte, die Verantwortung für das gesamte Unternehmen tragen wollen und das Wohl der Firma immer mitdenken - klingt das naiv? Ja, vielleicht. Aber auf der anderen Seite ist der Mensch ein soziales Wesen, wir fühlen uns in Gemeinschaft wohl und suchen nach Möglichkeiten unsere wertvolle Lebenszeit sinnvoll zu investieren. Ist es da nicht die logische Konsequenz auch an dem langfristigen Erhalt solch einer (Arbeits-)gemeinschaft mitzuwirken? Dafür müssen Verantwortungen aus klassischen Machtverhältnissen abgegeben werden und Verantwortungen aktiv von Mitarbeitenden genommen werden. Leichter gesagt, als getan. Eine Symbiose, bei der wir gerade viel lernen:

Verantwortung abgeben heißt für die Geschäftsführung nicht einfach nur Entscheidungsgewalten abzugeben, sondern vor allem Entscheidungsprozesse transparent zu machen, damit sie für alle nachvollziehbar und erlernbar sind. Wir müssen Erfahrungswerte teilen und voneinander lernen, damit nicht jede Person die gleichen Lernschritte gehen muss. Dass Mitarbeitende aktiv Verantwortung nehmen bedeutet, sie müssen im Wohle der Gemeinschaft entscheiden und nicht nur auf den eigenen Vorteil bedacht sein. Unser “Transparentes-Gehalt-Team” hat bei der Festlegung der Gehälter so manche emotionale Diskussion geführt, was monetär wertgeschätzt wird und was nicht.
Es muss auch ok sein, wenn jemand gerade nicht die Kapazität hat sich gestaltend in die Firma einzubringen, sondern “nur” zum Arbeiten kommt. Es muss weiterhin Hierarchien geben, um Entscheidungen treffen zu können. Diese Hierarchie bündelt sich aber nicht an der Spitze einer Pyramide, sondern verteilt die Entscheidungsmacht auf unterschiedliche Rollen und Teammitglieder.

Gehören Emotionen an den Arbeitsplatz?

Wir leben in einer Zeit des Aufbruchs, in der wir uns stark über unsere Arbeit definieren und die emotionale Persönlichkeit nicht an der Bürotür ablegen wollen. Auf der anderen Seite sind wir durch unsere Erziehung noch zu oft in gegenseitigem Misstrauen und Machtspielen durch Jobtitel verhaftet. Das merken wir an uns selbst jeden Tag, aber auch an der Art von Gesprächen, die wir im Team auf einmal führen. Fragen kommen, wie man z.B. Druck aufbauen könnte in solch einem System, wenn keine eindeutigen pyramidischen Hierarchieverhältnisse bestehen. Ja, schwierige Fragen, aber auf der anderen Seite vielleicht ganz einfach: Die schlichte Antwort ist, dass wir uns im Team gegenseitig vertrauen, wohlwollend begegnen und vor allem offen Schwierigkeiten und unerfüllte Erwartungen ansprechen wollen.

Durch das Verlagern von Hierarchien kommen Rückmeldungen zur Leistung und Qualität nicht mehr von oben nach unten, sondern eben auch von links und rechts, aus dem Team selbst. Das ist überhaupt nicht leicht und muss komplett neu gelernt werden. Dazu gehört ein riesengroßes Stück Persönlichkeitsentwicklung, denn es ist nicht einfach, den Kollege*innen zu sagen, dass man deren Arbeit gerade nicht so super fand, und sie deutlich hinter ihren Leistungsmöglichkeit zurückgeblieben sind. Genauso viel gehört dazu, sich solcher Kritik zu stellen und das nicht als zerstörerisch zu empfinden. Aber eben das ist der Schlüssel zu einem funktionierendem selbstorganisierten Unternehmen. Alle haben ein Interesse daran, dass wir eine hochwertige Arbeit liefern und uns gegenseitig dabei unterstützen besser zu werden. In der gegenseitigen Offenheit und Transparenz liegt die Chance, sich weiterzuentwickeln. Das bedeutet, dass Feedback geben gelernt werden muss, genauso wie das Feedback nehmen nicht gleichzusetzen ist mit Kritik an der Person. Ein Balanceakt.

Bedeutet dies soziale Kontrolle neu aufgelegt? Wir kontrollieren unser gegenseitiges Handeln? Es ist vermutlich auch eine Frage der Wahrnehmung. Statt sozialer Kontrolle möchten wir es lieber umbenennen in: kollegiale Wachstumsmöglichkeiten.

Dass Emotionen auch in den Arbeitskontext gehören, ist in den meisten Arbeitsplätzen neu und nicht trainiert. Aber wir sind auf dem Weg uns als gesamte Personen auch im Arbeitsleben zu begegnen. Mit Emotionen, Werten, Erwartungen, Qualitätsansprüchen, finanziellen Wünschen und der Suche nach Sinn. Für uns klingt das nach einem Menschenbild, das wir leben wollen und das längst überfällig ist.

Holacracy ist also die Lösung all unserer Herausforderungen?

Eindeutig Jein! Wir haben das Projekt Selbstorganisation vor knapp einem Jahr begonnen und im Sommer ein wirklich tiefes Jammertal durchschritten. Einige Kolleg*innen haben uns verlassen, die sich in einem holokratischen System nicht wiederfinden und wir haben viele Zweifel an dem SoulOS-System diskutiert. Verantwortung abzugeben fällt als Gründerin oft leicht aber genauso oft ist es sehr schwer zuzuschauen, wie Entscheidungen und Prozesse Zeit in Anspruch nehmen, obwohl man es einfach selbst schnell entscheiden könnte. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass es der für uns richtige und unausweichliche Weg ist, wenn wir unsere Werte von einem wirklichen Miteinander leben wollen. Wenn wir unserer gesellschaftlichen Verantwortung auch am Arbeitsplatz gerecht werden wollen, um an einer Arbeitswelt mitzuwirken, in der die Menschen im Mittelpunkt stehen.

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